Auf der Grundlage der positiven Erfahrungen und Ergebnisse aus den ViFF-Kursen, deren Förderungen durch das Land Niedersachsen mit dem Ende des Schuljahres 2019/20 ausgelaufen sind, führen wir den Musiktheorie-Kurs in veränderter Form weiter.

Spezialkurs Musiktheorie

Musiktheorie für Kinder zwischen 8 und 10 Jahren – geht das? Ja, wenn Kinder über die Grenzen ihres Instruments hinaus neugierig auf Musik sind, wenn sie Spaß daran haben, in einer Gruppe verschiedene Aspekte der Musik, wie Melodie- und Harmonielehre, Instrumentenkunde, musikalische Formen kennenzulernen und selbst kompositorisch aktiv zu werden.

Im Rahmen des Spezialkurses erhalten die teilnehmenden Kinder neben ihrem Instrumentalunterricht einmal wöchentlich in Kleingruppen Unterricht in elementarer Musiktheorie, in dem sie von einer sauberen Notenschrift über rhythmische Notations- und melodische Gehörübungen bis zu eigenen kleinen kompositorischen Versuchen die Vielfalt der Musik praktisch kennenlernen.

Der Spezialkurs Musiktheorie wird von Prof. Christoph Hempel (Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover) geleitet.
Prof. Hempel wird in loser Folge in kleinen Beiträgen in Text, Bild und Ton über Ergebnisse aus dem "Spezialkurs Musiktheorie“ berichten.

Schauen Sie von Zeit zu Zeit herein!

Mit einigen exemplarischen Ergebnissen aus der bisherigen Arbeit möchten wir hier einen Einblick in den Spezialkurs Musiktheorie geben.

1. Bericht - Kinder komponieren einen Kanon

Kanon – selbstgemacht!

Die Gruppe von sieben Kindern zwischen 10 und 12 kannte sich bereits mit Dreiklängen und ihrer Verwendung in der Kadenz aus und hatte erste Erfahrungen im kreativen Umgang mit gereimten Texten, besonders mit ihrer musikalisch-rhythmischen Gestaltung: Text weiter hier ->

Kanon-Noten: Download PDF hier ->

2. Bericht - Der Cool Cap Rap

Ein selbstgemachter Rap über eine coole Mütze

Bei dieser kleinen Kompositionsübung ging es um den Rhythmus. Rhythmustraining gehört gleichermaßen zur Musiktheorie wie zur Gehörbildung. Rhythmus übt man am besten über die Sprache: Zu acht kleinen Rhythmusmodellen fanden wir rhythmisch passende Wörter, mit denen die Kinder sich den Rhythmus gut einprägen konnnten: Lydia, Jesper und Johannes übten daran das rhythmische Sprechen und das Bestimmen und Aufschreiben von vorgespielten Rhythmen. Es ist nicht so leicht, einen Rhythmus zu einem „gefühlten“ Pulsschlag genau zu sprechen: Text weiter hier ->

Cool Cap Rap-Noten: Download PDF hier ->

3. Bericht - Wellenmusik

Improvisation mit einer Moll-Tonleiter

Tonleitern gehören zum Grundmaterial der Musik. Nach der Dur-Tonleiter haben wir die Moll-Tonleiter besprochen, haben ihre Schritte und Intervalle untersucht und Melodien in Moll betrachtet und gehört. Text weiter hier ->

Audio File 1 = Melodie | Audio File 2 = Ganz

Wellenmusik Noten: Download PDF hier -> / Partitur: Download PDF hier ->

4. Bericht - Memory

Arrangieren und Produzieren wie im Studio

In diesem Projekt vom September 2020 habe ich mit den sechs Kindern der Musiktheorie-Gruppe einen Ausflug in die Popmusik gemacht. Anlass war die Beschäftigung mit dem wohl populärsten Musicalsong von Andrew Lloyd Webber: „Memory“ aus „Cats“, in dem die alt gewordene Katze in einem melancholischen Lied ihrem früheren Leben als Star nachtrauert. In einem Workshop war der Song vorher choreografisch einstudiert worden.

Im Musiktheorie-Kurs gingen wir nun an die musikalische Gestaltung des Songs. Die Aufgabe bestand darin, das üppige Arrangement der Originalaufnahme so zu reduzieren, dass die wichtigsten musikalischen Verläufe zu einer erkennbaren „Cover-Version“ (so nennt man die Neu-Arrangements populärer Songs) vereinfacht und mit eigenen Mitteln nachgespielt werden konnten. Dabei half natürlich die Technik: Der Umgang mit Tablet, Mikrofon, Keyboard und Aufnahme-App ist den Kindern aus früheren Projekten bereits vertraut. Text weiter hier ->

Memory Noten: Download PDF hier ->

5. Bericht - Morning has broken

Komponieren einer Liedbegleitung für zwei Gitarren

Das Projekt „Morning has broken“ führte ich mit einer kleinen Gruppe aus zwei Gitarristen und einem Violinspieler, alle zwischen 9 und 12 Jahren, im Jahr 2020 durch. Die beiden Gitarristen hatten schon einige Jahre Unterricht, der Geiger war ein relativer Anfänger...

Bericht: Download PDF hier ->

Noten-Partitur: Download PDF hier ->

6. Bericht - Das entzückende Stück

Ein Rhythmus-Duett für singende und sprechende Schlagzeugspieler

Beim Projekt „Das entzückende Stück“ aus dem Jahr 2019 waren zwei 10-jährige Schlagzeugschüler die Hauptakteure. Weil die Stärke bei Schlagzeugspielern eher im rhythmischer als in melodischer und harmonischer Gestaltung liegen, entwickelten wir ein zweistimmiges rhythmisches Sprechstück.

Bericht: Download PDF hier ->

 

Das entzückende Stück Partitur: Download PDF hier ->
Das entzückende Stück Rhythmusbausteine: Download PDF hier ->

8. Bericht - This land is your land

Ein Folksong im Jazz-Look

Mit Botan und Fabian, zwei 13-jährigen Gitarrenschülern, erarbeitete ich im „Spezialkurs Musiktheorie“ Grundlagen der Jazz-Stilistik. Dazu gehören neben der Erweiterung der Dreiklänge zu Septakkorden auch spezielle Spielweisen wie „walking bass“ oder bestimmte standardisierte Harmoniefolgen wie der „Turnaround“.

Wir wählten als Vorlage den Folksong „This land is your land“ von Woodie Guthrie aus, der so etwas wie eine heimliche Nationalhymne der USA geworden ist. Die Abbildung zeigt ein Foto des Folksängers; das Notenbild enthält die Melodie mit Text und einer einfachen Harmoniefolge, die mit den drei Dreiklängen der G-Dur-Kadenz auskommt.

Die beiden Gitarristen teilten sich die Aufgaben: Einer spielte den Bass, der andere die Akkorde. Ich spielte dazu mit einem Orgel-Sound die Melodie.

Die erste Strophe gestalteten wir im Stil eines Folksongs, mit einer einfachen Bass-Stimme und geschlagenen Akkorden. In der zweiten Strophe kamen die Stilmittel des Jazz zum Einsatz, die wir vorher besprochen und ausprobiert hatten: Der Akkordablauf wurde „reharmonisiert“, d. h. zwischen die Akkorde der G-Dur-Kadenz wurden neue Akkorde geschoben, und für die zweite Gitarre komponierten wir eine „walking bass line“, d. h. eine durchlaufende Bewegung in Viertelnoten, die rhythmische und harmonische Grundlage bildet und dem Stück den „drive“ gibt, wie man an der Aufnahme hören kann.

Zu dieser Strophe steuerte ich noch ein Solo auf der Orgel bei, und die letzte Strophe erklingt wieder im Folksong-Stil.

9. Bericht - Swing low sweet chariot

Ein Einstieg in das Jazz-Arrangement

Spirituals sind eine vielseitige Musikgattung: Man kann sie zum Klavier singen, kann sie zu einem Chorsatz mit klassischen Harmonien verarbeiten – oder aber in ein Jazz-Gewand kleiden, mit Rhythmusgruppe, einem Bläsersatz mit Trompete, Saxophon und Posaune und einem vokalen oder instrumentalen Solisten.

Der erste Schritt auf diesem Weg ist die „Reharmonisierung“: Der harmonische Verlauf von Spirituals ist meist schlicht und an der Kadenz orientiert. Ich zeigte der Gruppe, mit welchen Tönen man die einfachen Dreiklänge der Vorlage erweitern kann und neue Akkorde zwischen die Dreiklänge der Vorlage einschiebt.

Leider spielte in der Gruppe keiner Trompete oder Saxophon, auch eine Rhythmusgruppe war nicht vorhanden, deshalb griffen wir auf „Samples“ zurück, aufgenommene Instrumentalklänge, die auf einem Keyboard eingespielt werden. Natürlich klingt das nicht „echt“, erlaubt aber eine klangliche Kontrolle über den komponierten Instrumentalsatz.

Immerhin hatten wir einen Posaunenschüler in der Gruppe, so dass wenigstens die Melodie von einem „echten“ Solisten gespielt werden konnte.

In der ersten Strophe schrieben wir ruhige Akkorde in halben Noten; in der zweiten Strophe gab ich einen Rhythmus vor, der sich in die Lücken der Melodie einpasst, und den wir gemeinsam in einen vierstimmigen Bläsersatz verwandelten.

Dazu „komponierten“ wir einen „walking bass“, eine in Viertelnoten laufende Melodielinie des Basses, der das Arrangement rhythmisch zusammenhält und mit den Grundtönen der Akkorde für harmonische Klarheit sorgt.

Notenbeispiel: Download PDF hier ->

10. Bericht - Colorado trail

Erfinden und Spielen einer Liedbegleitung zu einem Folksong

Mit Janina und Valentin, zwei 10-jährigen Schülern im „Spezialkurs Musiktheorie“, habe ich den Ablauf der Kadenz behandelt. Folksongs sind bekanntlich harmonisch recht einfach aufgebaut, und weil wir im Musiktheorie-Kurs immer zum jeweils behandelten Thema auch eine praktische Anwendung „komponieren“ und diese möglichst auch selbst spielen, bekamen die beiden von mir den Folksong „Colorado trail“ und die Aufgabe, Begleitakkorde zur Melodie zu finden.

Valentin, der Gitarrist, erhielt dann die Aufgabe, die gefundenen Akkorde in „Akkordbrechungen“ zu zerlegen, so dass eine für Gitarrenbegleitungen typische Kette aus Achtelnoten entsteht, und die selbstkomponierte Gitarrenstimme einzuspielen. Weil Valentin auch Klavier spielt, hat er auch gleich noch die Klavierakkorde komponiert und eingespielt.

Janina, die Klarinettistin, erhielt die undankbare Aufgabe, die in der gitarrenfreundlichen Tonart D-Dur stehende Melodie auf ihrer B-Klarinette in E-dur zu spielen, was sie wacker bewältigte, obwohl sie noch nicht lange Klarinette spielt.

Wie immer hat uns die Technik geholfen: Die Instrumente wurden nacheinander auf getrennte Spuren eingespielt und dann gemischt. Anspruchsvoll war die Aufgabe für die Kinder, wie im echten Tonstudio im Kopfhörer das Metronom oder die schon eingespielten Stimmen zu hören und rhythmisch genau und fehlerfrei die eigene Stimme dazu zu spielen.

Zum Schluss haben wir uns zu dritt vor dem iPad versammelt und einige „kosmetische“ Korrekturen an der Aufnahme ausprobiert, wie Lautstärkeabstimmung der Instrumente untereinander oder den klangliche Korrektur des Gitarren-„Sounds“, bis alle zufrieden waren..

Die Darstellung eines mehrstimmigen Stückes als Partitur kennen die beiden schon lange. Die Abbildung zeigt die fertige Partitur, aus der die beiden die Instrumentalstimmen einspielten.

11. Bericht - The Clown

Für die Gesamtansicht - The Clown (Partitur), bitte auf Notenbild klicken!

Instrumentation eines Klavierstücks für kleines Ensemble

In diesem Projekt ging es darum, ein einfaches Klavierstück für ein kleines Ensemble zu instrumentieren, also gewissermaßen in ein neues klangliches Gewand zu kleiden. Wie immer in unserem Kurs, sollten die Kinder in der Gruppe das Ergebnis am Schluss auch selbst spielen können. Dadurch war die Besetzung vorgegeben: die Kinder im Alter von etwa 11 bis 13 Jahren spielen Blockflöte, Posaune, Akkordeon und Klavier. Bei dieser etwas ungewöhnlichen Zusammensetzung halfen uns wiederum digitale Klänge und die Aufnahme-App, die wir schon länger bei unseren Kompositionen benutzen.

Unsere Vorlage war das Stück „The Clown“ aus der im Klavierunterricht beliebten Sammlung op. 39 von Kabalevsky. Das Stück ist bis auf wenige Akkorde zweistimmig.

Notenbeispiel - The Clown (Klavier): Download PDF hier ->

Eine Instrumentation sollte sich nicht darauf beschränken, einfach die beiden Stimmen auf die Instrumente zu verteilen: Zusätzliche Stimmen müssen „erfunden“ werden. Deshalb analysierten wir das Stück zunächst auf die vom Komponisten „mitgedachte“ Harmonik. Eine Untersuchung der Form des Stücks lieferte uns außerdem Anregungen für interessante Wechsel der Besetzung zwischen seinen Abschnitten.

Der Einsatz von Klavier und Akkordeon hätte eine problematische Verdopplung bedeutet. Deshalb haben wir statt eines Klaviers ein Keyboard eingesetzt, das mit Synthesizerklängen den witzigen Dur-Moll-Wechsel (Titel des Stücks!) hervorhebt. Damit sich der mit dem Anfang identische Schlussteil abhebt, haben wir dort noch ein wenig elektronisches Schlagzeug dazu eingespielt.

Während der Arbeit erhielten die Kinder die Aufgabe, unsere Ergebnisse in einer Partitur zusammenzufassen; die Arbeit mit einer Partitur kennen sie schon aus früheren Projekten. Diese habe ich am Schluss in eine gedruckte Form gebracht. Zum direkten Vergleich habe ich die originale Klavierfassung in kleinem Druck unter die Ensemblestimmen gesetzt.

Notenbeispiel - The Clown (Partitur): Download PDF hier ->

Mit den Notendateien The_Clown_Original.mp3 und The_Clown_Ensemble.mp3 kann man die Aufnahme des Originals und der Instrumentierung auch hörend vergleichen.

12. Bericht - "Rückblick ins Jahr 2016" - Limerick

In einem Kurs mit drei Kindern, um 10 Jahre alt, beschäftigen wir uns mit der Vertonung von Gedichten. Damit der Spaßfaktor nicht zu kurz kam, gab ich Linus (Klavier) und Loni und Michelle (Violine) einen „Limerick“, der von Musik handelt und erklärte ihnen das Prinzip dieser aus Irland stammenden schematischen Gedichtform: In zwei Reimzeilen wird eine Person, ihre Herkunft und ihr Problem präsentiert, in den nächsten beiden kürzeren Reimzeilen wird beschrieben, was die Person zur Behebung des Problems unternimmt, und in der fünften Zeile, die sich wieder auf die erste reimt, wird ein witziges und unerwartetes Ergebnis präsentiert. Unser Musik-Limerick, den ich im Internet fand, spielt auf scherzhafte weise mit der norddeutschen „ch“-Aussprache von Worten, die auf „ig“ enden, und lautet so:

Es gab mal ´nen Sänger in Aurich,
der sang gar nicht schön, sondern schaurich,
dass jeder im Land
nur Mitleid empfand,
da wurde der Sänger sehr traurich.

Damit die Vertonung nicht „traurich“ enden sollte, habe ich einen weiteren Limerick dazu gedichtet, in dem der ostfriesische Sänger noch einen Kollegen bekommt:

Es gab auch `nen Sänger in Emden,
den konnte kein Misston befremden.
Sie sangen Duett,
das klang wirklich nett:
Man konnt’ sie als Schiffshorn verwenden.

Wir einigten uns auf eine einfache Harmonik mit den Dreiklängen der d-Moll-Kadenz, die wir gerade behandelt hatten, und brachten den Text in einen einfachen Rhythmus und eine einfache Melodie. Mit einer kleinen Musik-App auf dem iPad wurde ein Playback aus Bass und Akkorden eingespielt, und weil es mit dem Singen nicht so recht klappen wollte, spielte eines der Mädchen die Melodie zur Unterstützung auf der Violine, und Linus und Michelle präsentierten die Melodie in einer Art Sprechgesang.

Als ich den Kindern die Möglichkeit zeigte, mit der App auch Geräusche in unsere Vertonung einzubauen, die wir uns aus dem Internet holten, gab es einen kreativen Schwung: Rauschende Wellen, Möwengeschrei und sogar das Schiffshorn aus der zweiten Strophe zauberten die passende Ostfriesland-Atmosphäre.

 

Das Notenbild ( Download PDF hier) zeigt die Melodie, die wir gemeinsam passend zu den Akkorden komponierten, und den Anfang der einfachen Akkordbegleitung. Im Klangbeispiel ist unsere Produktion zu hören, die wir mit der iPad-App „gemixt“ haben.

Vertonungsversuche einer besonderen Gedichtform

Die Arbeit und das witzige Ergebnis haben uns so viel Spaß gemacht, dass ich den Kindern vorschlug, selbst einen Limerick zu dichten, den wir dann vertonen wollten. Linus kam in der nächsten Stunde mit dem geradezu genialen Einfall, die mühsame Suche nach einem „Limerick-Reim“ selbst zu einem Limerick zu machen:

Ein Musikschüler aus Hildesheim,
der suchte einen Limerick-Reim.
Er plagte sich sehr,
es fiel ihm so schwer:
„Warum fällt mir denn heute rein gar nichts ein?“

Parallel zur Kompositionsarbeit lief natürlich der Unterricht in den „klassischen“ Bereichen Rhythmus, Melodie etc. weiter, und so stellte ich für die Vertonung einige neue Aufgaben:

Wir hatten unregelmäßige Taktarten behandelt; aktuelles Thema war außerdem die melodische Ausgestaltung von Akkordfolgen. Und so sollte also die Vertonung im 5/4-Takt erfolgen, und die Akkordfolge sollte durch eine selbstkomponierte Geigenmelodie über die Akkorde begleitet werden. Der Text wurde gesprochen.

Das Foto eines Arbeitsblatts (Limerick2_Arbeitsblatt.JPG) zeigt, wie viel Mühe sich die drei „Komponisten“ mit der Gestaltung gegeben haben.

Ich schlug vor, eine Videoaufnahme zu machen, in der der kleine „Poet“ sich mit der Erfindung des Gedichts abmüht. Preiswerte oder kostenlose Tablet-Apps für den Videoschnitt kann man im Internet finden. Und weil gerade Sommer war, setzte er sich auf der Wiese vor der Musikschule unter einen Baum und brachte seine komödiantische Begabung zur Geltung.

Als ich dann noch vorführte, wie mit der Audio-App eine Stimme verfremdet werden kann, brach geradezu ein kreativer Sturm los: Wir kopierten in der App die Aufnahme des Gedichts mehrmals hintereinander, und die Kinder experimentierten mit extrem verfremdeten Versionen der Sprachaufnahme. Das Ergebnis wurde abschließend in die Tonspur unter das Video gelegt (Limerick2_Linus_2016 | siehe unten).

Diese Produktion aus dem Jahr 2016 liegt lange zurück; die Kinder von damals sind heute Jugendliche. Aber sie werden sich sicherlich noch gern an den Spaß erinnern, den wir damals mit unserer Limerick-Produktion hatten.

Christoph Hempel

13. Bericht - Cool School Blues

Der „Cool School Blues“, ein kleines Blues-Arrangement über ein Thema aus dem Leben

In einem Projekt mit Kindern um 13 Jahre behandelte ich im Sommer 2022 die Form des Blues mit ihren typischen harmonischen Verläufen, ihren speziellen Texten und anderen Eigenschaften. An einigen Video- und Tonaufnahmen von Größen aus der Blues-Geschichte versuchten wir, spezielle Stilmerkmale herauszuhören und zu notieren, wie z. B. den „Blues-Lick“, eine ständig wiederholte stiltypische Bass-Formel, oder das „Call & Response“-Prinzip, das Frage-Antwort-Spiel zwischen einem Solisten und einer Instrumentalgruppe, und natürlich die zwölftaktige, dreiteilige Blues-Strophe mit ihrem typischen Harmonieverlauf und der Melodik aus der „Blues-Tonleiter“.

Und wie immer im „Spezialkurs Musiktheorie“, blieb es nicht beim Hören, Analysieren und Notieren, sondern wir wollten selbst einen Blues komponieren und musizieren. Bei dieser Musikgattung ist man ja nicht auf ein spezielles Instrumentarium festgelegt, und so machten wir uns mit unserer nicht gerade poptypischen Besetzung – Blockflöte, Akkordeon, Posaune, Klavier und Gesang – an die Arbeit. Eine Rhythmusgruppe hatten wir nicht, bei der Aufnahme half uns daher wieder unsere App „Cubasis“ auf dem iPad.

Ein einfacher Text war schnell gemacht:

Early in the morning (Call), school waits for you (Response)
Early in the morning (Call), school waits for you (Response)
Giddy up, go to school (Call), school waits for you (Response)

Als Höraufgabe sollten die Kinder den „Lick“, die ständig wiederholte Bassfigur, aus einem Klangbeispiel mit dem Bluessänger Billy „Boy“ Arnold (geb. 1935), heraushören.

Notenbeispiel - Cool School Blues - Bass: Download PDF hier ->

Wir hörten uns auch an, wie der Bluessänger Arnold mit wenigen Tönen seine Melodie gestaltet. Das typische Frage-Antwort-Spiel „call & response“ ist bei der Aufnahme leicht zu herauszuhören: In diesen Fall antwortet der Sänger sich selbst auf der Mundharmonika.

Dazu hörten wir Blues-Aufnahmen aus anderen Stilbereichen an, z. B. aus dem Rock ‘n‘ Roll, in dem der Harmonieverlauf der zwölftaktigen Form deutlich zu hören ist.

Wir orientierten uns an unserem Vorbild und entwarfen ein Lead sheet, eine Art vereinfachter Notation, die den Bass, die Harmonien und die Gesangsstimmen enthält. Die Notationsform des Lead sheet ist in der Popmusik und im Jazz üblich und bietet alle notwendigen Informationen für das praktische Musizieren.

Blues mit Blockflöte und Akkordeon – geht das?

 

Notenbeispiel - Cool School Blues: Download PDF hier ->

 

Wider Erwarten traute sich ein Junge aus der Gruppe, ins Mikrofon zu singen. So konnten wir den „Call“ einmal dem Posaunisten und einmal dem Sänger anvertrauen. Unsere Pianistin spielte mit einem Orgel-Sound ein kurzes rhythmisches Pattern mit auf Zweistimmigkeit reduzierten Blues-Akkorden, die leicht zu spielen sind.

Man kann auch aus knappen Mitteln etwas machen: Im „Response“ unseres Blues antwortet die „Band“, die nur aus Blockflöte und Akkordeon bestand, mit einem einfachen dreistimmigen Akkordsatz auf die „Calls“.

  • Die Datei Cool School Blues.pdf zeigt das Lead sheet unserer Komposition.

  • Das Bildschirmfoto (für größere Ansicht anklicken) dokumentiert den Anfang der Aufnahme mit der App „Cubasis“: Die blau hinterlegten Spuren mit den rechteckigen Punkten und Strichen repräsentieren die Spuren der „virtuellen“ Rhythmusgruppe, während die drei oberen Spuren mit den angedeuteten Wellenformen die Mikrofonaufnahmen abbilden. Grau hinterlegte Abschnitte sind „gemutet“ (stummgelegt).
  • Im Klangbeispiel Cool School Blues.mp3 ist unsere Aufnahme zu hören.

 

Mit unserer Blues-Komposition werden wir kein Konzertpodium stürmen, aber die Prinzipien dieser Musikgattung konnten die Kinder sowohl durch Hörbeispiele der Vorbilder als auch durch eigene Gestaltung und musikalische Realisation kennenlernen und verstehen.

Christoph Hempel

 

 

14. Bericht - Scarboro Fair

„Kirchentonarten“ in einem traditionellen Folksong

In einem Projekt mit zwei 14 Jahre alten Gitarrenschülern behandelte ich im September 2022 die sogenannten „Kirchentonarten“: Neben Dur und Moll existieren seit Jahrhunderten Tonleitern, die Dur oder Moll ähneln, aber Unterschiede aufweisen. Die Bezeichnung „Kirchentonarten“ für diese Tonleitern beruht auf ihrer Verwendung in den alten einstimmigen Kirchengesängen. Doch auch heute wird dieses Tonmaterial verwendet, etwa in der Popmusik oder in Folksongs. Als Beispiel wählte ich den Folksong „Scarboro Fair“ (Abb. 3): Auf den ersten Blick erscheint d-Moll als Tonart der Melodie, doch wenn man die Tönen der gesamten Melodie als Tonleiter anordnet, ergibt sich ein anderes Bild: Abb. 1 zeigt in der ersten und zweiten Reihe die Moll-Tonleiter und in der dritten die in „Scarboro Fair“ verwendete „dorische“ Tonleiter. In Hb 1 werden alle drei Tonleitern nacheinander gespielt. Im oberen Teil der Tonleiter bemerkt man den Unterschied zur Moll-Tonleiter. Mit Höraufgaben komplettierte ich die Kenntnisse der Schüler und machte sie mit dem ungewohnten Klang dieses Tonmaterials vertraut.

Nun ging es um einen Begleitsatz für die zwei Gitarristen. Für die Harmonik einer Liedbegleitung hat die Verwendung von Kirchentonarten weitreichende Konsequenzen: Während sich die Harmonik der meisten Volkslieder auf die einfache Kadenz beschränkt (Abb. 2, Hb 2), stehen in den Kirchentonarten alle Dreiklänge, die sich aus den Tönen der Tonleiter bilden lassen („leitereigene Dreiklänge“), gleichberechtigt zur Verfügung, was zu einer farbigen und schwebenden Harmonik führt. Diese Art der Harmonik nennt man – abgeleitet vom mittelalterlichen Begriff modus (lat., Plural modi) für die Kirchentonarten – „modale Harmonik“.

In Hb 2 werden zunächst die Dreiklänge der d-Moll-Kadenz, dann die Dreiklänge der dorischen Tonleiter auf d gespielt. Dabei ist der 6. Dreiklang ausgelassen. Es ist ein verminderter Dreiklang, der hier nicht verwendet wird.

Scarboro Fair Partitur

Wir untersuchten nun gemeinsam Takt für Takt die Melodie auf Dreiklänge, die zum jeweiligen Melodieton passen, und trugen sie in das Notenbild ein. In Abb. 3 ist unsere Auswahl zu sehen. Die Akkorde sind in der üblichen internationalen Akkordschrift notiert: Ein Großbuchstabe bedeutet Dur-Dreiklang, ein Großbuchstabe mit einem „m“ bedeutet Moll-Dreiklang.

Als nächstes ging es um einen konkreten Satz für zwei Gitarren: Ein Schüler sollte die Melodie, einer die Begleitung spielen. Wir entschieden uns bei der Begleitung für eine durchlaufende Bewegung in Achtelnoten, die nur an den Zeilenenden kurz unterbrochen wird, um die Einschnitte in der Melodie zu verdeutlichen.

Die beiden Gitarristen bekamen die Hausaufgabe, die Dreiklänge so zu zerlegen, dass sich flüssige melodische Figuren bilden und dass jeder Takt sechs Achtelnoten enthält (das Lied steht im 3/4-Takt), die auf der Gitarre gut liegen und leicht spielbar sind. Außerdem sollte der Grundton des Dreiklangs deutlich am Anfang des jeweiligen Taktes stehen.

Wir notierten dann gemeinsam das Ergebnis, das in Abb. 3 zu sehen ist, nahmen das Stück mit einem Mikrofon spurweise auf und korrigierten abschließend am iPad gemeinsam die Lautstärke-Balance und andere Feinheiten, bis wir mit der Aufnahme zufrieden waren. Das Hörbeispiel vermittelt erkennbar den erwähnten farbigen und schwebenden Charakter der „modalen“ Harmonik.

 

Christoph Hempel

15. Bericht - Minimal music

Minimal Music, das stilistische Vorbild

Steve Reich und Phil Glass waren die Protagonisten eines Musikstils, der sich in den 1960er-Jahren aus den USA nach Europa ausbreitete und zu einer regelrechten Mode wurde: Kurze, oft einfache rhythmisch-melodische Floskeln, sogenannte „Patterns“, wurden endlos wiederholt und im Laufe der Komposition minimal und kontinuierlich gegeneinander verschoben. Der Reiz dieses Verfahrens bestand darin, dass sich immer neue zufällige Kombinationen ergaben und dass die teilweise sehr langen Aufführungen einen stark meditativen Eindruck vermittelten.

Die Einflüsse auf diesen von seinen Protagonisten „Minimal music“ genannten Stil waren vielfältig: Fernöstliche Meditation, afrikanische und indische Rhythmik, Einbeziehung der Improvisation in die Konzertmusik und Rückzug auf eine „neue Einfachheit“ als Reaktion auf die zunehmende Komplexität der „Neuen Musik“ in den 1950er-Jahren.

Ich führte einer Gruppe aus vier Kindern zwischen 12 und 14 Jahren einige Klang- und Notationsbeispiele aus dieser Zeit vor, und wir nahmen uns die „Piano phase“ für 2 Klaviere von Steve Reich aus dem Jahre 1967 als Vorbild für eine eigene Komposition, die wir auch praktisch ausführen wollten.

In „Piano phase“ spielen zwei Pianisten eine kurze einstimmige Phrase von 12 Noten („Pattern“) synchron mehrmals, dann beschleunigt ein Spieler das Tempo fast unmerklich, während der andere konstant weiterspielt. Es ergeben sich durch die allmähliche Verschiebung interessante akustische Effekte, bis die Spieler wieder synchron sind, allerdings dann um eine Note verschoben. Bis beide wieder das Pattern völlig synchron spielen, kann es sehr lange dauern – das Endes des Stücks ist offen. In Abb. 1 Hb 1 ist das Pattern zu sehen und zu hören:

In einem Hörbeispiel auf Youtube ist eine Aufführung der Komposition mit zwei Pianisten zu hören. Zum Youtube-Video, bitte hier klicken!

Ein Sprach-Experiment mit einer Kompositionstechnik der 60er-Jahre

Die Sprach-Komposition „Pattern go on“

Wir haben in unserer Version für zwei sprechende Gruppen das gleiche Prinzip des allmählichen Auseinanderlaufens angewendet, aber nicht mit Hilfe einer (sehr schwierigen)Temposteigerung, sondern mit einem 12 Achtelnoten langen Text, der von zwei Gruppen gleichzeitig gesprochen wird und dem nach einigen Durchläufen in einer der beiden Gruppen eine Silbe („gleich“) hinzugefügt wird, wodurch die Phrase um eine Achtelnote länger wird (13 Achtelnoten). Auf unserer Aufnahme (Hb 2) beginnen die Gruppen gleichzeitig, und bei jedem Durchlauf beginnt die Gruppe mit der zusätzlichen Silbe um die zusätzliche Achtelnote später. Die Verspätungen addieren sich, und man hört deshalb auf der Aufnahme immer neue Kombinationen von unterschiedlichen Textsilben, die gleichzeitig erklingen. Nach 12 Durchläufen sprechen die beiden Gruppen wieder synchron. Hier endet die Aufnahme.

Rhythmische Stabilität durch eine „timeline“

Bei rhythmischen Verläufen, die durch ständige Wiederholungen und Überlagerungen gekennzeichnet sind, braucht es eine gut hörbare rhythmische Schicht, an der sich alle Mitspieler orientieren können. Dieses Prinzip der sogenannten „timeline“ stammt aus afrikanischer Musik, in der es ebenfalls keine für alle Mitspieler verbindliche Taktstruktur gibt und jeder Musiker auf der Basis der Timeline seine eigene Taktart findet. Wir verwendeten für unsere Komposition den „Konkolo“, auch „Zwölferglocke“ genannt, ein permanent wiederholtes Rhythmuspattern aus zwölf Achtelnoten in unregelmäßiger Aufteilung, das auf einem klanglich dominanten Instrument gespielt wird und den Musikern einer Gruppe die Orientierung am Grundpuls ermöglicht. In Abb. 2 steht es in der untersten Notenzeile. Die Timeline ist auf einer Originalaufnahme aus Togo (Hb 2: Togo_12er_Glocke.mp3) und auf der Aufnahme unserer Minimal Music-Komposition (Hb 2: Pattern_go_on.mp3) gut zu hören.

16. Bericht - Mutter, liebe Mutter

Mutter, liebe Mutter“, ein bulgarisches Lied im 7/8-Takt und einer “Zigeuner-Tonart“

Im 14. Bericht hatte ich die Verwendung von Kirchentonarten in der Folklore vorgestellt. Der 16. Bericht knüpft an die folkloristische Verwendung von Tonarten abseits von Dur und Moll an. Es geht um die sogenannten „Zigeuner-Tonleitern“ (es gibt in der Musiktheorie noch keinen politisch korrekten Ersatzbegriff, deshalb wird er hier verwendet). Komponisten des 19. Jahrhunderts benutzten derartige Stilmittel für die damals beliebte romantisch verklärende Darstellung des „Tzigane“-Milieus, was sich in den Titeln vieler Kompositionen wiederfindet: Brahms („Zigeunerlieder“) Liszt („Ungarische Rhapsodien“) oder Dvorak („Slawische Tänze“). George Bizet benutzte in der Oper „Carmen“ (1875) die „Zigeuner-Tonleiter“ direkt für eine musikalische Charakterisierung der Titelheldin, der Zigeunerin Carmen.

Die Zigeunertonleiter ist eine Art harmonisches Moll mit hochalterierter Quarte, durch die ein zweiter übermäßiger Sekundschritt zwischen der Moll-Terz und der vierten Tonleiterstufe entsteht (Klammern). Beginnt man die Tonleiter auf dem Quintton a, liegt der übermäßige Sekundschritt zwischen der zweiten Stufe und der Dur-Terz:

In einem bulgarischen Volkslied fand ich außer dieser Tonleiter auch noch eine für unsere Ohren ungewohnte Taktart, eine sogenannte „unregelmäßige Taktart: 7/8-Takt, bestehend aus einer 3-Achtel-Gruppe und zwei 2-Achtel-Gruppen. Der Komponist Bela Bartok hat bei seinen Forschungsreisen auf dem Balkan solche Taktarten gefunden, aufgezeichnet und in seinen Kompositionen verwendet.

Ungewohnte Taktarten und Tonarten

Mit dieser Melodie konfrontierte ich die beiden 14-jährigen Gitarristen der Gruppe. Wir machten uns zunächst mittels einiger Übungen mit der unregelmäßigen Taktartart vertraut und versuchten dann aus den Tönen der Zigeunertonleiter eine Gitarrenbegleitung zu entwickeln. Die Begleitung sollte ausschließlich aus den Tönen der Tonleiter bestehen, außerdem sollte sie den 7/8-Takt deutlich artikulieren. In Abb. 4 und Hb 4 ist das Ergebnis zu sehen und zu hören. Auf der Aufnahme spielt der eine Gitarrist die Melodie, der andere die Begleitung.

 

Christoph Hempel

17. Bericht - Haschemann

Im „Spezialkurs Musiktheorie“ wurde auch die Instrumentenkunde behandelt: Wie heißen die Musikinstrumente, wie sehen sie aus, wie klingen sie, wie geht ihre Klangerzeugung vor sich, und welche Ensembles werden aus ihnen gebildet?

In diesem Projekt ging es um die Streichinstrumente. Wir haben versucht, ein einfaches Klavierstück für ein Streichorchester zu instrumentieren, also in ein neues klangliches Gewand zu kleiden. Wir haben dazu ein Klavierstück von Schumann für Streichorchester arrangiert: „Haschemann“ aus den Kinderszenen op. 15.

Vorher gab es natürlich Informationen, Abbildungen und Klangbeispiele zu den Streichinstrumenten. Wie immer in unseren Musiktheorie-Kursen, sollten die Kinder der Gruppe das Ergebnis am Schluss auch selbst spielen können. Bei dieser Bearbeitung haben wir allerdings eine Ausnahme gemacht: Keiner aus der Gruppe spielte ein Streichinstrument, und so halfen gesampelte Klänge und die Aufnahme-App „Cubasis“, die wir schon länger bei unseren Kompositionen benutzen. Die fortgeschrittene Gruppe, zwischen 12 und 15 Jahre alt, kannte die Partiturdarstellung schon aus früheren Projekten. Neu zu lernen war der c-Schlüssel, hier in der Bratschenstimme.

In seinem Klavierzyklus „Kinderszenen“ malt Schumann kindliches Erleben, Stimmungen und kleine Szenen musikalisch aus. In „Haschemann“ – heute würde man „Fangen spielen“ sagen – schildert Schumann musikalisch, wie eine Kindergruppe herumtollt: Ein Kind wird gefangen und reißt sich überraschend wieder los, um den Trubel neu zu beginnen.

Natürlich kann man einen Klaviersatz nicht 1 zu 1 in einen Orchestersatz übertragen. Wir untersuchten als erstes die Struktur des Klaviersatzes und die Möglichkeiten der Zuordnung zu den Instrumenten des Orchesters. Schnell wurden die „Schichten“ des Satzes klar: Die oberste Stimme enthält die Melodie, unten werden die Grundtöne der Akkorde gespielt, und zwar in Achtelnoten abwechselnd mit den restlichen Akkordtönen im mittleren Bereich: „Nachschlagende Akkorde“ wird das genannt.

Wir gaben also der ersten Geige die Melodie, Bass und Cello die tiefen Töne und der zweiten Geige und der Bratsche die Akkorde in der Mitte des Klangs. Um einen volleren Klang zu erzielen, ließen wir das Cello sowohl die tiefen Töne als auch die Akkorde mitspielen.

Um zweiter Geige und Bratsche die richtigen Töne zuzuweisen, mussten wir dann herausfinden, welche Akkorde die Klavierstimme enthält. Das war nicht schwer: Aus den Basstönen und den nachschlagenden Akkorden ließen sich die Akkorde bilden und auf die drei tiefen Instrumentengruppen verteilen, wie aus der Partitur zu sehen ist. Es sind die drei Akkorde der h-Moll-Kadenz: h-Moll, e-Moll und Fis-Dur als Septakkord. Die Kadenz kennen die Kinder schon lange.

Ich gab den Kindern zunächst eine Partitur mit leeren Notenzeilen für die fünf Instrumente, in die sie unsere „Funde“ eintrugen. Die handschriftlichen Partituren der Kinder habe ich am Schluss zusammengefasst und in eine gedruckte Form gebracht.

 

 

Instrumentation eines Klavierstücks von Robert Schumann für Streicherensemble

Nb 1 zeigt den Anfang in der Klavier-Originalnotation:
Download Haschemann_Klavier.pdf
Grafik für vergrößerte Ansicht bitte anklicken.

Hb 1 enthält eine Aufnahme des ganzen Stücks in der Klavier-Originalfassung: Haschemann_Klavier.mp3

Nb 2 zeigt die Partitur der Bearbeitung für Streichorchester:
Downoald Haschemann_Partitur.pdf
Grafik für Komplett-Ansicht bitte anklicken.

Hb 2 enthält eine Aufnahme des ganzen Stücks in der Orchesterbearbeitung: Haschemann_Streicher.mp3

18. Bericht - Walzer

Bei diesem Projekt ging es nicht um ein Arrangement eines vorhandenen Musikstücks, sondern darum, kompositorische Techniken und Stilmerkmale einer Komposition herauszufinden und mit diesen Mitteln eine eigene Komposition zu verfassen. So etwas nennt man eine „Stilkopie“. Je einfacher und schematischer die Kompositionsmittel des Vorbilds sind, desto leichter ist eine solche Stilkopie herzustellen. Franz Schubert hat vermutlich die Walzer-Mode im Wien des frühen 19. Jahrhunderts zum Anlass genommen, eine Unmenge von kurzen Klavierwalzern zu komponieren, die trotz Schuberts unerschöpflichen Ideenreichtums einem kompositorischen Schema folgen. Das bietet sich für eine Stilkopie an.

Der Walzer Nr. 5 aus der Sammlung D783 (Nb 1) ist ein typisches Beispiel:
Die linke Hand sorgt für den rhythmischen und harmonischen „Unterbau“, indem sie auf dem Taktbeginn in tiefer Lage den Grundton des Akkordes markiert und dann in mittlerer Lage mit zwei nachschlagenden Akkorden die komplette Harmonie liefert. „Wumm – ta – ta“ würde man umgangssprachlich dazu sagen.

Nb 1 - Die Noten des Vorbilds:
Schubert Walzer D783­_5.pdf - Download
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Auf dieser Basis kann sich die rechte Hand in einer Melodielinie in fließenden Achtelnoten frei entfalten. Doch auch hier erkennt man ein gewisses Schema: Auf jedem Taktanfang liegt einer „akkordfremder“ Ton, also ein Ton, der nicht im Akkord enthalten, also zu ihm dissonant ist. Jedoch wird in der nächsten Achtelnote diese Dissonanz aufgelöst, indem die Melodie sich mit einem Sekundschritt zu einem „akkordeigenen“ Ton bewegt. Dieses Verfahren, „Vorhalt / Vorhaltsauflösung“ genannt, gibt der Melodie eine ständige Abfolge von Spannung und Entspannung und wird über das ganze Stück hinweg beibehalten. Die restlichen vier Achtelnoten des Taktes bestehen im ganzen Stück ausschließlich aus Akkordbrechungen. Notenbeispiel Nb 3 verdeutlicht dieses Schema, das über das ganze Stück hinweg beibehalten wird, exemplarisch an den ersten beiden Takten.

Nb 3 - Notenbeispiel:
Melodieschema.pdf - Download
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In Hb1 (Eine Aufnahme des Vorbilds: Schubert Walzer D783­_5) ist das Original zu hören.

Komposition eines Walzers nach dem Vorbild von Franz Schubert

Die Gruppe (vier Kinder zwischen 12 und 14 Jahren) war in der Harmonielehre so weit fortgeschritten, dass die Kinder Kadenzen, Dominantseptakkorde, Dreiklangsumkehrungen und Paralleltonarten erkennen und anwenden konnten. Für alles bietet dieser Schubert-Walzer Anschauungsmaterial: Der harmonische Verlauf schwankt ständig zwischen h-Moll und der Paralleltonart D-Dur, die jeweils durch den passenden Dominantseptakkord eingeführt werden (Takte 1 bis 4).

Ich gab den Kindern eine Leerpartitur, in die ich lediglich einige Funktionssymbole (T für Tonika, D für Dominante etc.) eingetragen hatte. Sie sollten als Hausaufgabe daraus eine Partie für die linke Hand nach dem Schema des Originals machen und dann eine Melodie erfinden, die dem in Nb 3 dargestellten Schema entspricht.

Wir besprachen gemeinsam die Ergebnisse, korrigierten noch einiges, und als Ergebnis kam Nb 2 heraus. Die Tonarten sind hier a-Moll und die Paralleltonart C-Dur; die vorgegebenen Funktionssymbole stehen unter den Notenzeilen.

Nb 2 - Das Ergebnis unserer Komposition nach dem Vorbild:
Walzer Stilkopie.pdf - Download
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Wie immer im Musiktheorie-Kurs, sollte das Produkt auch von Mitgliedern der Gruppe (Blockflöte, Akkordeon, zwei Klavier-Anfänger) selbst gespielt werden. Die Besetzung der Aufnahme mit Blockflöte und Akkordeon ist zwar gänzlich unhistorisch, konnte dafür aber ohne Veränderung des Notentextes und zusätzliche Übezeit erfolgen: Die Blockflötistin spielte die Melodie, und der Akkordeonist verteilte Bass und Akkorde auf die beiden Hände:

Hb 2 - Eine Aufnahme unserer Komposition für Blockflöte und Akkordeon

Das Foto zeigt die beiden Instrumentalisten und im Vordergrund das Mikrofon und das Tablet mit der Aufnahme-App.
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19. Bericht - Geisterschloss

Bei der Arbeit mit einer Gruppe aus Kindern zwischen 9 und 12 Jahren spielte der 9-jährige Gitarrist Valentin ein paar Geräusche auf seiner Gitarre und fragte mich im Scherz, ob wir daraus nicht auch eine Komposition machen könnten.

Ich nahm ihn beim Wort und ließ zunächst ihn und die 11-jährige Klarinettistin Janina eine selbst ausgedachte einfache Tonfolge ins Mikrofon spielen, die ich mit der Musik-App „Cubasis“ auf dem iPad aufnahm. Dann zeigte ich den Kindern, wie man mit der App die Klänge verfremden kann. Wir experimentierten mit dem „Equalizer“, mit dem man hohe oder tiefe Frequenzen ausfiltern kann, mit dem „Delay“, das einen Klang ständig wiederholt, mit extremen Transpositionen oder Tempoveränderungen, mit „Loops“, ständig wiederholten kurzen Phrasen, und mit Raumsimulation durch künstlichen Hall. Die kleine Melodie wurde dabei bis zur Unkenntlichkeit verändert. Die einzelnen Klangereignisse lassen sich dann mit der App beliebig kopieren, verschieben, rückwärts abspielen und mehrfach übereinanderlegen. Die Funktionen sind in der App so einfach zu bedienen, dass die Kinder großen Spaß am Experimentieren hatten. Hier einige Klangproben:

In Hb 1 wurde die Klarinettenmelodie extrem verlangsamt, zwei Oktaven tiefer gespielt und verhallt.

In Hb 2 wurde die Klarinettenmelodie „geloopt“, also mehrmals hintereinander kopiert und mit einem leichten Delay versehen.

In Hb 3 erklingt die Klarinettenmelodie eine Oktave tiefer mehrmals, und durch abnehmende Lautstärke und zunehmenden Hall wird eine allmähliche Entfernung der Klangquelle in einem großen Raum simuliert.

In Hb 4 wird die Gitarre aufwärts oktaviert und extrem verlangsamt. Die normalerweise schnell verklingenden Töne der Gitarre werden dadurch langgezogen. Auch das typische kurze Zupfgeräusch am Anfang der Töne verschwindet dadurch.

In Hb 5 durchlaufen die Töne der Gitarre mehrere „Delays“, alle Töne werden mehrmals wiederholt wiedergegeben und mischen sich mit dem Original zu einer Wolke von Tönen.

In Hb 6 werden die Töne der Gitarre rückwärts abgespielt.

Ein Ausflug in elektronische Musik und grafische Notation

Diese „Bausteine“ haben wir dann in der App zu einem musikalischen Ablauf zusammengestellt, indem wir auf dem Bildschirm die Elemente auf Spuren verteilt, kopiert, verschoben und übereinander gelegt haben. Bei der Frage nach einem möglichen Titel assoziierten die Kinder sofort „Geisterschloss“, und so haben wir unsere Komposition genannt.

Nb 1 zeigt ein Bildschirmfoto des Ergebnisses in der App „Cubasis“. Die senkrechte Linie läuft beim Abspielen von links nach rechts und zeigt die aktuelle Position im musikalischen Verlauf. Auf jeder der neun horizontalen Spuren liegt jeweils einer der beschriebenen Effekte.

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In Hb 7 ist das zweiminütige Stück zu hören.

Musikalische Laien wären beim Hören mit dem Verfolgen der Bildschirmdarstellung wohl überfordert. Wir haben uns deshalb überlegt, wie man die klanglichen Verläufe in einer laufenden Grafik darstellen könnte, die man beim Hören wie eine Partitur mitliest. Ich habe dazu ein geeignetes Vorbild gefunden: György Ligeti, ein in den 70er- und 80er-Jahren anerkannter und stilbildender Komponist, hat 1958 das elektronische Stück „Artikulation“ produziert – damals noch ohne Computer! Einige Jahre später hat der Musiktheoretiker Rainer Wehinger dazu eine „Hörpartitur“ gezeichnet, eine Grafik, die den Klangverlauf mit Linien, Punkten und anderen grafischen Symbolen nachzeichnet. Dieses Werk ist 1970 im Schott-Verlag erschienen, ist längst vergriffen und wird als Rarität zu Liebhaberpreisen angeboten. Wieder einige Jahre später – 2007, die Computer hatten inzwischen die Musikproduktion erobert – präsentierte der Wissenschaftler Donald Craig auf Youtube einen Film, in dem die „Hörpartitur“ zu dem Stück seitenweise synchron zur Musik dargestellt wird und eine senkrechte Linie, wie in unserer App, die aktuelle Stelle in der Musik anzeigt. Dieser Film ist auf Youtube zu sehen:
Ligeti - Artikulation - https://youtu.be/71hNl_skTZQ

Diesen Film haben wir uns gemeinsam angesehen und Ideen für die grafische Darstellung unserer Komposition mit Farben, Formen und Flächen gesammelt. Die Kinder haben dann mehrere Papierbögen aneinander geklebt, auf dem unteren Rand eine Sekunden-Skala eingetragen und den musikalischen Verlauf von „Geisterschloss“ sekundengenau auf dem Papier nachgezeichnet. Ich habe Ja­ninas Grafik im passenden Tempo abgefilmt und in einer Videoschnitt-App die Musik daruntergelegt.

Das Ergebnis ist nicht ganz so professionell wie das Vorbild geraten, wir waren aber sehr stolz auf unser Produkt. Es ist ebenfalls auf Youtube zu sehen und zu hören:
Geisterschloss - https://www.youtube.com/watch?v=dheEeeWJE9A

20. Bericht - Liedkomposition nach W. Busch

Wenn einer, der mit Mühe kaum
Gekrochen ist auf einen Baum,
schon meint, dass er ein Vogel wär –
so irrt sich der.

In einer Dreiergruppe mit einer Klarinettistin, einer Geigerin und einem Gitarristen (um elf Jahre alt) wollten wir zu einem Gedicht eine Melodie selbst komponieren, mit einer Gitarrenbegleitung versehen und das Ganze in einer Partitur notieren – und natürlich selbst musizieren, auch mit Gesang. Die Wahl fiel auf das Gedicht von Wilhelm Busch, in dem eine Lebensweisheit allegorisch in eine scherzhafte Tierfabel gekleidet wird: Wer ein Ziel mühsam erreicht hat, sollte sich nicht gleich als Meister fühlen.

Wir hatten über Arten der Melodiebildung gesprochen, über Sequenz, Frage-Antwort-Prinzip und regelmäßige Betonungsfolge in Reimdichtungen. Außerdem kannten die Kinder die „leitereigenen Dreiklänge“ (Dreiklänge, die ausschließlich aus Tönen der Tonleiter bestehen) und ihre Verwendungsmöglichkeiten bei der Begleitung einer Melodie. Nun sollten diese Kenntnisse in einer praktischen Kompositionsübung eingesetzt werden.

Wir untersuchten zunächst die Textstruktur: Alle vier Gedichtzeilen beginnen mit einem Auftakt, die ersten drei Zeilen haben jeweils 4 Betonungen pro Zeile. Nur die letzte Zeile ist kürzer: Sie hat nur zwei Betonungen — natürlich eine musikalische Ausdeutung des plötzlichen Absturzes!

Der erste Schritt war die Komposition der Melodie. Wir sprachen zunächst den Text betont vor uns hin; dabei ergab sich ein 2/4-Takt und eine einfache Rhythmisierung, die wir zunächst auf einer Rhythmuszeile mit einer Notenlinie notieren:

Nb 1 - Notenbeispiel:
Wenn.einer-Alicija.Rhythmus.pdf - Download
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Die Kinder wussten schon, was eine Sequenz ist (die mehrfache Wiederholung eines kurzen Motivs jeweils auf der Nachbarstufe, auf- oder absteigend), und es bot sich an, das Hinaufklettern mit einer aufwärtsgehenden Sequenz darzustellen, bzw. das Abstürzen in Gegenrichtung.

Wir einigten uns auf die für Gitarre und Geige angenehme Tonart d-Moll und komponierten gemeinsam den Anfang der Melodie (bis Takt 7), mit der Hausaufgabe für die Kinder, die Melodie selbst zu Ende zu komponieren.

Alicja brachte in der nächsten Stunde ein schlichtes, schönes Ergebnis mit, das alle drei sofort singen konnten:

Nb 2 - Notenbeispiel:
Wenn.einer-Alicija.Melodie.pdf - Download
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Die Kinder sind gewohnt, dass auch eigenwillige Ideen in unsere Projekte eingebaut werden, und so dichteten Valentin und Janina spontan noch zwei bizarre Fortsetzungen der traurigen Geschichte in zwei weiteren Strophen, die jeweils passend in die letzte Zeile „so irrt sich der“ münden , und komponierten auch gleich eine Melodie dazu. Janina benutzte sogar nur die ersten drei Takte unseres gemeinsam komponierten Aufstiegs:

Nb 3 - Notenbeispiel:
Wenn.einer-Janina.Melodie.pdf - Download
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Nb 4 - Notenbeispiel:
Wenn.einer-Valentin.Melodie.pdf - Download
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Interessant war, wie die drei mit der zu kurzen letzten Textzeile musikalisch umgegangen waren. Alicja hatte das schlichtweg ignoriert; der zweite Teil war einfach zwei Takte kürzer. Janina hat in ihrer Melodie die letzte Textzeile wiederholt; Valentin hat eine Pause eingebaut ,– beide verlängerten so die letzte Zeile mit musikalischen Mitteln.

Wir wählten für unseren Begleitsatz Alicjas schlichte Melodie aus, und nun ging es an die Gitarrenbegleitung: Ich gab vor, dass pro Takt ein Dreiklang erklingen sollte, und dass die Dreiklänge einfach aus Tönen der d-Moll-Tonleiter bestehen sollten; das sind z. B. die Dreiklänge in d-Moll, C-Dur und F-Dur. Die Dreiklänge zerlegte Valentin dann in Achtelfiguren, was er sofort ohne Üben zustande brachte. Auf der Takt-Eins sollte dabei immer der Dreiklangsgrundton erklingen. So konnten wir die Gitarrenstimme gleich im Unterricht fertigschreiben. So sah das Ergebnis aus:

Nb 5 - Notenbeispiel:
Wenn.einer-Alicija.Melodie.und.Gitarre.pdf - Download
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Weil alle drei Kinder musikalisch beteiligt werden sollten, brauchten wir noch eine weitere Stimme, also eine Art Begleitstimme zur Melodie. Auch diese Stimme musste zur Akkordfolge passen, sollte sich aber selbständig bewegen. Für diese instrumentale Begleitmelodie entwarfen wir wieder zunächst einen Rhythmus, der „komplementär“ zur gesungenen Hauptmelodie verlaufen sollte. Den Begriff kennen die Kinder schon aus früheren rhythmischen Aufgaben: „Komplementär-Rhythmus“ bedeutet, dass zwei Melodien so angelegt sind, dass in den Pausen der einen Melodie jeweils Töne der anderen erklingen, dass also die beiden Melodien rhythmisch „auf Lücke“ angelegt sind.

Damit die Begleitstimme nicht zu eintönig wirkt, sollte der zweite Teil (ab „schon meint ...“, Takt 9) anders rhythmisiert werden, nämlich genau synchron zur Melodie. Man kann diese beiden Prinzipien an Nb 06 schön beobachten.

Die melodische Ausführung des Rhythmus war dann nur noch ein kleiner Schritt. Den abschließenden Absturz des kühnen Fliegers stellten wir mit einer Akkordbrechung abwärts musikalisch dar:

Nb 6 - Notenbeispiel:
Wenn.einer-Alicija.Partitur.pdf - Download
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Komposition eines dreistimmigen Liedsatzes nach einem Gedicht von Wilhelm Busch

Wir gaben der Geige die neu komponierte Stimme, ließen die Gesangsmelodie zunächst von der Klarinette spielen und nahmen den nunmehr dreistimmigen Liedsatz für Geige, Klarinette und Gitarre mit dem Mikrofon auf. Aber weil zu einem Lied auch ein gesungener Text gehört, bekam Janina einen Kopfhörer aufgesetzt, in dem sie unsere Aufnahme hörte, und sang dazu die Melodie auf eine weitere Spur ins Mikrofon – ganz wie bei den Profis im Tonstudio! Die „Abmischung“, also die Anpassung der Lautstärke zwischen Gesang und Instrumenten und kleine klangliche Korrekturen nahmen wir gemeinsam vor, und dies war das Ergebnis:

Hb 1 - Hörbeispiel:
Wenn.einer-Alicija.mp3

Eigentlich war damit das Projekt abgeschlossen, aber die Arbeit an der Vertonung von Alicjas Melodie zündete bei Valentin und Janina die Kreativität, und sie schlugen vor, auch zu ihren Melodien jeweils einen Begleitsatz zu komponieren und das Ganze als Ablauf zu gestalten.

Wir versuchten die Begleitsätze möglichst abwechslungsreich zu gestalten:

- Strophe 2 mit Janinas Melodie bietet einen Kontrast: markante Akkorde im ersten und eine sanfte Triolenbegleitung in der Gitarre im zweiten Teil, in dem die Akkorde zu Arpeggien zerlegt sind, und eine rhythmische „Imitation“ am Schluss.

Nb 7 - Notenbeispiel:
Wenn.einer-Janina.Partitur.pdf - Download
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Hb 2 - Hörbeispiel:
Wenn.einer-Janina.mp3

- In Strophe 3 mit Valentins Melodie bekommt die Gitarre mit einer durchlaufenden Achtelkette ordentlich zu tun. Die Doppelgriffe in der Violinstimme probierten wir zuvor mit unserer Geigerin Alicja aus. Weil der Wechsel zwischen Doppelgriffen schwierig ist, gaben wir Alicja vorwiegend lange Noten zu spielen. Beide Sätze nahmen wir zunächst als instrumental-Trio auf und fügten wie bei der ersten Strophe die Singstimme zum Playback hinzu.

Nb 8 - Notenbeispiel:
Wenn.einer-Valentin.Partitur.pdf - Download
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Hb 3 - Hörbeispiel:
Wenn.einer-Valentin.mp3

Valentin dachte sich noch einen Einleitungstext aus:

Der Frosch, der hatte einen Traum,
zu fliegen von dem hohen Baum.
Wir werden jetzt mit unserem Singen
die Story froh zu Ende bringen.

Auch ein Schlusstext, wieder aus der Feder von Valentin, durfte nicht fehlen:

Jetzt hüpft er in dem Gras herum
Und denkt sich: „Ach, wie war ich dumm!
Die Vögel sind fürs Fliegen da,
die Frösche nicht – das ist doch klar!“

Beide Texte sprach er selbst ins Mikrofon, und fertig war unsere kleine Wilhelm-Busch-Kantate über das Lob der Bescheidenheit. Hier ist die Gesamtaufnahme:

Hb 4 - Hörbeispiel:
Wenn.einer-Gesamt.mp3

Hier ist die Bildergeschichte von Wilhelm Busch im Original zum Herunterladen:
Wenn.einer-W.Busch_Bildergeschichte.pdf - Download

Das Foto zeigt die drei tüchtigen Komponisten: v.l. Alicja, Valentin, Janina

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21. Bericht - Etüde – selbst geschrieben

Die beiden Gitarristen der Gruppe hatten die Grundlagen der Kadenzharmonik gelernt, sie kannten die Funktionen verschiedener Dreiklänge und Septakkorde in der Kadenz und kannten sich mit Vorhaltsnoten und Akkordumkehrungen aus.

Diese Kenntnisse sollten nun an einem Musikbeispiel praktisch erprobt werden: Die beiden sollten eine Etüde für Gitarre selber schreiben!

Eine Etüde ist bekanntlich ein Musikstück, die auf eine bestimmte spieltechnische Schwierigkeit fokussiert ist und diese in allen Schattierungen und Varianten dem übenden Musiker präsentiert – also eine Art körperliches „Fitness-Training“. Das musikalische Niveau ist dabei eher gering, wenn sich nicht Komponisten wie Chopin, Schumann oder Ligeti der Gattung annehmen und trotz des sportlichen Aspekts Kunstwerke schaffen.

Die Berge von Heften mit gedruckten Etüden sind eigentlich eine Aufforderung zur Bequemlichkeit: Ein aufmerksam und bewusst übender Musiker bemerkt selbst eigene technische Defizite, separiert sie aus dem in Arbeit befindlichen Stück und erfindet eigene Übungen, die genau auf das Problem zielen.

Warum also nicht einmal eine eigene Etüde schreiben?

 

Wir nahmen uns im Theorie-Unterricht die Klavier-Etüden von Carl Czerny als Vorbild. Czerny, Zeitgenosse Beet­hovens, war in Wien ein bekannter Pianist, Komponist und Klavierpädagoge. Von ihm stammt der Begriff „Etüde“ als musikalische Gattung. Seine Etüdensammlung „Schule der Geläufigkeit“ dürfte vielen Generationen von Klavierschülern seither in gemischter Erinnerung sein.

Czernys Klavieretüden folgen sämtlich dem Kompositionsprinzip, wie es in der Etüde Nr.1 zu sehen ist:

Nb 1 - Notenbeispiel:
Czerny-Klavier.Nr1.pdf - Download
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Das technische Problem, hier der schnelle Wechsel einer einfachen Fünftonraum-Figur in eine neue Lage der Hand, liegt in der rechten Hand. Die linke Hand fügt eine sparsame Akkordbegleitung mit der Harmonik einer leicht erweiterten Kadenz hinzu.

Wir haben gemeinsam den Harmonieverlauf in einen kompakten Satz umgewandelt, die harmonischen Vorgänge untersucht und den Satz in die besser liegende Tonart G-Dur transponiert.

Nb 2 - Notenbeispiel:
Cerny.Kompaktdarstellung.pdf - Download
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Dabei haben wir die langen Passagen in den Takten 5 und 6, in der Czerny die linke Hand pausieren lässt, noch mit weiteren Akkorden, sogenannten „Zwischendominanten“, passend aufgefüllt. Hier kam den beiden Gitarristen die Erfahrung mit Kadenzerweiterungen aus dem Musiktheorie-Unterricht zugute.

Nun ging es zum gitarrenspezifischen Teil der Kompositionsübung. Auf der Gitarre gibt es technische Schwierigkeiten ganz anderer Art als auf dem Klavier. Dazu holten wir uns Informationen aus einer Gitarrenschule von Heinz Teuchert. Der Autor hat dort Übungen aus historischen Gitarrenschulen gesammelt und in moderne Notation transkribiert.

Komposition einer Gitarren-Etüde nach dem Vorbild von Carl Czernys Klavieretüden

Wir suchten uns eine Übung aus einer spanischen Gitarrenschule des 18. Jahrhunderts heraus, in der bei einer Akkordfolge die tiefsten Töne länger klingen sollen und eine Art eigene Melodie bilden, während auf den oberen Saiten die Akkordtöne in einer sehr schnellen Akkordbrechung gespielt werden – ein Modell, das man in der Gitarrenmusik oft hört.

Nb 3 - Notenbeispiel:
Teuchert97.pdf - Download
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Wir haben also dieses typische Gitarren-Spielmuster auf unsere bei Czerny gefundene Akkordfolge übertragen, und zwar in zwei Fassungen: In der ersten Fassung spielt der erste Gitarrist die „Etüde“, und der zweite Gitarrist hilft ihm, indem er die tiefen Töne und nachschlagend die Akkorde spielt.

Nb 4 - Notenbeispiel:
Czerny.Etuede01.Teuchert1.pdf - Download
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In der zweiten Fassung spielt ein Gitarrist allein.

Nb 5 - Notenbeispiel:
Czerny.Etuede01.Teuchert2.pdf - Download
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Die beiden spielten abschließend ihre eigene Komposition ins Mikrofon. Beim praktischen Einsatz im Instrumentalunterricht würde das Spieltempo allmählich gesteigert werden; unsere Aufnahme in einem eher gemächlichen Tempo diente nur der Dokumentation der kompositorischen Arbeit.

22. Bericht - Tango

Zwei Schüler meiner Musiktheorie-Gruppe spielten im „Schulorchester“ ihrer Jahrgangsstufe mit. Das instrumentale Können der Mitglieder dort war sehr unterschiedlich, und die Besetzung war bunt gemischt: Drei Geigen, vier Celli, zwei Querflöten, eine Oboe, eine Klarinette, zwei Trompeten, außerdem eine Gitarre, einige Pianisten und Schlagzeuger.

Wir beschlossen, ein Klavierstück für diese Besetzung zu arrangieren. Ich stellte meiner Gruppe einige geeignete Klavierstücke vor, die sich im Grenzbereich zwischen klassischer Klavierliteratur und Popmusik, jeweils im Elementarbereich, bewegen. Die Kompositionen stammen aus Sammlungen von Dmitri Kabalewski (24 Stücke für Klavier op. 39), Christopher Norton („MicroJazz“, Piano Duets), sowie einer Sammlung von modernen Tänzen für Klavier von Mátyás Seiber.

Hier zwei geeignete Beispiele mit den ersten Takten der vorgestellten Kompositionen:

Dmitri Kabalewski, Langsamer Walzer“ aus op. 39

Nb 1 - Notenbeispiel:
Kabalewski_op39
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Christopher Norton: „Folksong“ aus „Microjazz for Piano Duet“

Nb 2 - Notenbeispiel:
Norton_Folksong_Anfang.pdf - Download
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Wir entschieden uns für den „Tango“ aus der Sammlung von Mátyás Seiber. Hier ist das ganze Stück im originalen Notenbild:

Nb 3 - Notenbeispiel:
Seiber_Tango_Original.pdf - Download
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HB 1 - Hörbeispiel:
Seiber_Tango_Original.mp3

Der Klaviersatz ist zweistimmig und sehr übersichtlich: Die rechte Hand spielt die Melodie, die linke wiederholt eine ständige Begleitfigur aus gebrochenen Akkorden in einem einfachen Tango-Rhythmus. Auch die AABA-Form erschließt sich beim Hören sofort:

  • zweitaktige Einleitung in der Unterstimme
  • Achttaktiger A-Teil
  • Wiederholung des A-Teils
  • Achttaktiger Mittelteil
  • Nochmalige Wiederholung das A-Teils,

insgesamt also 5 Formteile.

An dem Stück wird deutlich, dass trotz der durchgehenden Zweistimmigkeit ein Harmonieverlauf vorliegt, der vor allem in den Akkordbrechungen in der linken Hand repräsentiert ist. Mit der Gruppe aus 13- bis 14-jährigen Kindern hatte ich bereits die Kadenz und den Dominantsept­akkord besprochen, und so versuchten wir eine harmonische Analyse. Diese ist für ein Arrangement wichtig, weil es ja nicht mit einer Instrumentierung und Verdopplung der Melodielinien getan ist, sondern auch liegende oder rhythmisierte Akkorde verwendet werden sollen.

Das ist bei diesem Stück recht einfach: Wir haben die Töne der linken Hand taktweise zu Akkorden „zusammengeschoben“ und so die Akkorde ermittelt. Der Harmonieverlauf sieht so aus:

Nb 4 - Notenbeispiel:
Seiber_Tango_Harmonik.pdf - Download
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HB 2 - Hörbeispiel:
Seiber_Tango_Harmonik.mp3

Wenn man den Harmonieverlauf hört, kann man die Akkordwechsel im Original-Notenbild leicht verfolgen.

Nach den zwei Takten der Einleitung erklingt vier Takte lang der d-Moll-Dreiklang, der Tonart des Stücks, der aber durch ein spezielles Verfahren, einer „cliché line“, interessant gestaltet ist: Über dem Dreiklang läuft eine Melodie vom Grundton d2 chromatisch abwärts bis zum Quintton a1:

Nb 5 - Notenbeispiel:
Seiber_Tango_Chromatik.pdf - Download
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HB 3 - Hörbeispiel:
Seiber_Tango_Chromatik.mp3

Instrumentierung einer Klavierkomposition für Schulorchester

Nun ging es an die kompositorische Arbeit: Ich fertigte eine „Leer-Partitur“ an, in der das Klavier-Original zur Orientierung in den untersten Notenzeilen enthalten war, und die einzusetzenden Instrumente jeweils eine – noch leere – Notenzeile bekamen: 2 für die Streicher (Violinen, Celli), jeweils eine für Flöte, Oboe, Klarinette und Trompete, und eine für Schlagzeug, also 7 Notenzeilen. Jedes Kind bekam eine solche Partitur und konnte im Unterricht die erarbeiteten Ergebnisse eintragen. Das Prinzip der Partitur kannten die Kinder schon aus früheren Projekten, und so wurden alle durch die praktische Arbeit noch einmal damit vertraut gemacht.

Bevor die erste Note geschrieben werden konnte, musste erst ein „dramaturgischer“ Plan für den Ablauf entwickelt werden. Dazu waren einige Fragen vorab zu klären:

  • Wie kann die fünfteilige Form durch Wechsel in der Instrumentation deutlich gemacht werden?
  • Welchen Instrumenten geben wir die Melodie?
  • Wie instrumentieren wir die Akkorde, die ja im Original nur als einstimmige Akkordbrechungen erklingen?
  • Soll der markante Tango-Rhythmus in unterschiedlicher Instrumentation erklingen, also z. B. auch in Form von Akkorden?
  • Welche Schlaginstrumente setzen wir ein?

An dieser Stelle wurde es notwendig, neben der Orientierung in einer Partitur auch die Instrumentenkunde einzubeziehen. Ich benutzte dazu das Heft „Musikinstrumente“ aus der Reihe „Thema Musik“ (Klett-Verlag), das neben Beschreibungen und Abbildungen auch CDs mit Klangbeispielen bietet. Bezüglich unseres Vorhabens war zu klären:

  • Tonumfang und Klangcharakter der Instrumente
  • Welche Instrumente passen für welchen Zweck, welche passen klanglich gut zusammen?

Wir einigten uns auf einen Ablauf:

Im ersten A-Teil spielen die Violinen die Melodie, und zwar gleich mit angehängten Akkorden. Die Celli übernehmen die Begleitfigur; weil ein Kontrabass fehlt, spielt das Klavier die Begleitfigur eine Oktave tiefer mit. Die Oboe spielt dazu die in der Melodie enthaltene chromatische Linie mit Oktavverdopplung. In der zweiten Viertaktgruppe ab T. 9 spiel dann die Trompete ein geglättete Version der Melodie.

Für die Wiederholung des A-Teils haben wir eine behutsame Steigerung vorgesehen: Der Streichersatz bleibt der gleiche, aber in den Takten 5 bis 8 oktaviert die Flöte nun die Linie der Oboe, und in gleicher Weise oktaviert jetzt die Oboe die Trompete, und erst in der Wiederholung des A-Teils setzt das Schlagzeug mit dem Rhythmus der Bassfigur ein. Hier die Anfangstakte des A-Teils:

Nb 6 - Notenbeispiel:
Seiber_Tango_Anfang.pdf - Download
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Im B-Teil haben die beiden Trompeten ihren Auftritt: jetzt spielen sie die Melodie, und zwar zweistimmig in Terzen; es antworten Flöte und Oboe, wieder in Oktaven. Die Streicher treten jetzt in die Begleitung zurück und spielen die Begleitakkorde in einem typischem Tango-Rhythmus, den wir in unserem Arrangement der Originalkomposition hinzugefügt haben: Dieser Rhythmus aus vier spitz gespielten Viertelnoten und einem starken Akzent auf der „vier und“ kommt im Original nicht vor. Hier die ersten beiden Takte des B-Teils:

Nb 7 - Notenbeispiel:
Seiber_Tango_B-Teil.pdf - Download
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Und wie es sich gehört, bringt die abschließende Wiederholung des A-Teils eine Schluss-Steigerung: Die Streicher spielen wieder, wie im ersten A-Teil, die Melodie in einem Akkordsatz, jedoch werden alle Stimmen von den Holzbläsern oktaviert verdoppelt: Die Flöte oktaviert die erste, die Oboe die zweite, und die Klarinette die dritte Geigenstimme. Zusätzlich verdoppelt die Trompete die Stimme der ersten Geige, also die Hauptmelodie. Hier die ersten beiden Takte des letzten A-Teils, in dem alle Instrumente beteiligt sind:

Nb 8 - Notenbeispiel:
Seiber_Tango_Finale.pdf - Download
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Und hier ist die Partitur für unser Schulorchester mit einer Einspielung:

Nb 9 - Notenbeispiel:
Seiber_Tango_Partitur.pdf - Download

HB 4 - Hörbeispiel:
Seiber_Tango_Chromatik.mp3

23. Bericht - Musik produzieren

Der Begriff „Musik produzieren“ hat heute, im Zeitalter technischer Medien, eine Doppelbedeutung. Ein Komponist denkt sich ein Musikstück aus, schreibt es auf oder spielt es auf seinen Instrument – er „produziert“ Musik. Sobald aber die komponierte Musik medial verbreitet, gedruckt, für andere Besetzungen arrangiert oder auf andere Weise medial verwertet werden soll, kommt der „Produzent“ ins Spiel, ein Berufsstand, der mit der Verbreitung technischer Medien zunehmend an Bedeutung gewinnt und gegenüber dem Vorgang des Komponierens, also des eigentlichen „Erfindens“ von Musik, immer wichtiger wird. Besonders der Computer und die Digitalisierung von Musik spielt hier eine wichtige Rolle.

Diese Doppelbedeutung – also die Verzahnung von kreativem Erfinden und technischer Verarbeitung mittels Computerhilfe – wollte ich mit einer Gruppe von drei Kindern (10 bis 13 Jahre) praktisch ausprobieren, und zwar anhand der Realisation eines einfachen Kanons.

Die technische Ausstattung eines handelsüblichen Tablets, mit dem sich Kinder dieses Alters heute bestens auskennen, erlaubt Arbeitsschritte, die vor nicht langer Zeit professionellen Studios vorbehalten waren. Zum Einsatz kamen bei unserem Projekt ein iPad, ein Mikrofon und die App „Cubasis“ der Firma Steinberg, mit der Musik aufgenommen und bearbeitet werden kann.

 

Zunächst zum kreativen Teil des Projekts, der Erfindung eines Kanons:

Wohl jeder hat in seiner Jugend schon einmal einen Kanon mitgesungen. Bekanntlich besteht die Melodie eines Kanons aus zwei, drei oder vier gleich langen Abschnitten, die von allen Stimmen gleichzeitig, aber versetzt gesungen werden, so dass immer alle Abschnitte in verschiedenen Kombinationen gleichzeitig erklingen. Die Stimme, die am Ende angekommen ist, beginnt sofort wieder von vorn, und erst auf ein Zeichen des Dirigenten endet das Stück für alle; jeder Sänger hört an der Stelle auf, an der er in diesem Moment in der Melodie angekommen ist.

Dieses Prinzip setzt voraus, dass dem Kanon eine einfache Akkordfolge zugrunde liegt, zu dem alle Melodieabschnitte passen müssen. Man kann auf diese Weise auch mehrstimmige Stücke in einer Gruppe improvisieren: Seit dem 16. Jahrhundert gibt es die Musikform des "Quodlibet", einer Gruppenimprovisation über eine ständig wiederholte kurze Akkordfolge.

 

Wir einigten uns dazu auf eine einfache Dreiklangsfolge in der Grundtonart C-Dur:

Abb. 1

Für die Erfindung der Melodie gab ich einen scherzhaften vierzeiligen Sinnspruch als Text vor (dessen Urheberschaft ich nicht feststellen konnte):

 

Bedenke doch in jedem Fall,

wie das Huhn im Hühnerstall:

Bist du noch so froh bewegt,

gack’re erst, wenn‘s Ei gelegt!

 

Jedes der Kinder dachte sich eine zur Akkordfolge passende Melodie für einen Textabschnitt aus. Die Fragmente stimmten wir dann gemeinsam aufeinander ab und fügten sie zu einer vierteiligen Melodie zusammen: Die Übergänge zwischen den Textzeilen müssen melodisch passen, und die aus den Stimmverläufen resultierenden vierstimmigen Akkorde sollten möglichst immer vollständig sein. Außerdem haben wir auf eine abwechslungsreiche rhythmisch-melodische Gestaltung der Melodieabschnitte geachtet.

 

Abb. 2 zeigt das Ergebnis:

In Hb 1 ist die gesungene Melodie mit den Begleitakkorden zu hören.

Wie immer bei unseren Projekten, spielen und singen die Kinder ihre Kompositionen auch selbst, und damit kommt der zweite, technische Aspekt unserer "Musikproduktion" ins Spiel. Für die Gesangsaufnahme haben wir die Akkorde vorher in der App eingespielt und lassen sie im Hintergrund leise ablaufen. Bei der Aufnahme der Gesangsmelodie hören die Sänger die Akkorde im Kopfhörer mit, damit sie die Töne treffen.

Die App „Cubasis“ zeigt in ihrem Hauptfenster (Abb. 3) eine übersichtliche Abbildung des Musikverlaufs: Am linken Rand stehen die Bezeichnungen der gleichzeitig ablaufenden Einzelspuren, hier die vier Gesangsspuren und unten die Spur mit den ständig wiederholten Begleitakkorden, die wir einfach durch das Kopierverfahren vervielfacht haben, wie man es auch aus Textprogrammen kennt.

Jedes der Kinder (und ich als Bass-Stimme) sang nun die Melodie auf einer eigenen Spur ins Mikrofon, wobei die über Kopfhörer mitgehörten Akkorde auf der untersten Spur beim Treffen der Töne halfen und ein mitlaufendes Metronom im Kopfhörer den Takt angab.

Wir verschoben dann die vier Aufnahmen gegeneinander jeweils um 4 Takte, wir erzeugten also den Kanon einfach durch Montage auf dem Bildschirm. Das Ergebnis ist in Abb. 3 deutlich zu sehen und in Hb 2 zu hören. Die Aufnahme endet, wenn die zuletzt einsetzende Stimme (Bass) die Melodie einmal ganz gesungen hat.

 

Abb. 3

 

Hb.2

Realisation eines Kanons mit Computerhilfe

Zu einem Kanon gehört aber auch, dass eine Stimme, wenn sie die Melodie zu Ende gesungen hat, nicht aufhört, sondern sofort wieder von vorn anfängt. Auch dies haben wir mit einem Kunstgriff bewerkstelligt. Wir kopierten den gesungenen Part und setzten ihn einfach noch einmal hinten dran.

Abb. 4 zeigt das Ergebnis:

In Hb 3 ist es zu hören. Jetzt hören alle Stimmen gemeinsam auf, wenn der Bass seine Melodie einmal ganz gesungen hat. An dieser Stelle haben wir alle anderen Stimmen einfach abgeschnitten.

Wie oft im Theorieunterricht, entfachte eine witzige Textvorgabe die schöpferische Fantasie der Kinder, und so "dichteten" sie gleich noch eine zweite und dritte Strophe, die rhythmisch auf die erste Strophe passt, also auf der gleichen Melodie gesungen werden kann:

 

Wenn im Nest dann liegt das Ei,

gibt’s ne große Gackerei.

Hört der Bauer den Krawall,

saust er in den Hühnerstall.

 

Sieht er dann das Ei im Nest,

hält er’s Huhn am Kragen fest,

sagt ihm: „Gib nun endlich Ruh!“

und hält dem Huhn den Schnabel zu.

 

Wir nahmen auch diese beiden Strophen auf und montierten sie wie die erste Strophe; außerdem eröffneten wir eine weitere Audio-Spur, auf der einer der Komponisten den Text der folgenden Strophe sprach, weil der Text beim mehrstimmigen Singen schwer zu verstehen war. Die Text-Spur liegt ganz unten. Die Textstellen haben wir zwischen die gesungenen Strophen montiert:  Die Pausen auf den Musikspuren sind in Abb. 5 deutlich zu erkennen. Sie zeigt den fertigen Gesamtverlauf mit drei Strophen und den drei Textpassagen.

Die Musik wird in der App von links nach rechts abgespielt; eine wandernde senkrechte Linie, hier zwischen Takt 41 und 45, zeigt bei der Wiedergabe die aktuelle Position an.

Abb. 5

Mit der fertigen Montage sind die Möglichkeiten der digitalen Musikproduktion noch nicht erschöpft. Ein Fenster der App enthält ein simuliertes Mischpult (Abb. 6), in dem die Lautstärke der Spuren separat geregelt werden kann. Wir stellten fest, dass die Kinder bei der Aufnahme unterschiedlich laut gesungen hatten, und glichen die Unterschiede mit den Reglern aus, wie an deren unterschiedlicher Position zu sehen ist. In den kleinen waagerechten Fenstern über den Reglern kann man zudem die Position einer Spur im Stereo-Panorama separat einstellen, so dass beim Abhören einzelne Spuren scheinbar von rechts, von links oder aus der Mitte kommen.

Abb. 6

Dann haben wir der Aufnahme noch ein wenig „Feinpolitur“ hinzugefügt: In einem sogenannten „Equalizer“ (Abb. 7), auch in der App enthalten, lassen sich tiefe und hohe Frequenzen der Stimme (Zischlaute) absenken oder verstärken, und schließlich haben wir noch ein wenig Glanz in Form von künstlichem Raumhall über unser Kunstwerk gegossen.

Abb. 7

Als „Schluss-Gag“ haben wir ein Huhn, das ich in einem Geräusche-Magazin im Internet fand, in die App importiert und gackern lassen ... bis der Bauer ihm, wie in der dritten Strophe berichtet, den Schnabel zuhält.

In Hb 4 ist die Gesamtaufnahme zu hören.

Rückblick VIFF regional – Förderkurs Musiktheorie 2007- 2020

Mit Beginn des Schuljahres 2007/2008 hatte das Niedersächsische Kultusministerium in Zusammenarbeit mit der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover (HMTMH) und dem Landesverband niedersächsischer Musikschulen ein Modellprojekt zur Förderung hochbegabter Kinder ins Leben gerufen. Das Projekt baute auf den Erfahrungen auf, die am „Institut zur Früh-Förderung musikalisch Hochbegabter“ (IFF) der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover (HMTMH) mit einem auch international beachteten Programm zur Erkennung und Förderung musikalisch hochbegabter Kinder im Alter ab ca. 12 Jahren gewonnen wurden. In einer Vorklasse des IFF (Vor-IFF = VIFF) wurden auch Kinder im Alter zwischen 8 und 12 Jahren angesprochen. Diese Aufgabe der Hochbegabtenfindung und -förderung erfolgte unter dem Titel VIFF-regional auch in ausgewählten Regionen Niedersachsens.

In Braunschweig, Osnabrück und Hildesheim setzten die örtlichen VdM-Musikschulen ein in enger Abstimmung mit der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover entwickeltes Förderprogramm für Kinder im erweiterten Grundschulalter um. Unter Einbeziehung von allgemeinbildenden Schulen, Hochschulen, Orchestern und privaten Musiklehrern sprachen die Musikschulen hierzu in ihrem Einzugsgebiet alle musikalisch besonders begabten Kinder an. Diese werden nach bestandenem Eignungstest mit einem besonderen Unterrichtsangebot der Musikschulen in ihrer weiteren Entwicklung unterstützt.

Die Förderung von VIFF-regional erfolgte durch das Niedersächsische Kultusministerium im Rahmen des Programms Hauptsache: Musik Niedersachsen. Die Fördermittel wurden vom Landesverband niedersächsischer Musikschulen verwaltet. Das Förderprogramm VIFF regional lief in der bisherigen Form mit Ende des Schuljahres 2019/20 aus. Die Musikschule Hildesheim war einer der wenigen Standorte dieses Förderprogramms in Niedersachsen. Der Unterricht wurde von Prof. Christoph Hempel mit großem Erfolg geleitet.